«Der See wird noch sauberer, noch nährstoff­ärmer»

Piet Spaak, der Leiter von «SeeWandel», spricht im Interview über die Synthese des großangelegten Forschungsprojekts, an der zurzeit mit Hochdruck gearbeitet wird. Er ist Spezialist für aquatische Ökologie an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut der ETH Zürich.

«Der See wird noch sauberer, noch nährstoff­ärmer»

Piet Spaak, der Leiter von «SeeWandel», spricht im Interview über die Synthese des großangelegten Forschungsprojekts, an der zurzeit mit Hochdruck gearbeitet wird. Er ist Spezialist für aquatische Ökologie an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut der ETH Zürich.

Piet Spaak, wo liegen die Herausforderungen bei der Synthese eines so großen Projekts?

Beim Auswählen! Dabei orientieren wir uns nicht nur an wissenschaftlichen Interessen, sondern auch an dem, was die Öffentlichkeit erwartet. Im Fokus stehen die Probleme des Ökosystems Bodensee. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass zwei invasive Arten die Hauptrolle spielen: der Stichling und die Quagga Muschel. Welche Bedeutung dieser Muschel zukommt, wussten wir zu Beginn des Projekts nicht. Sie tauchte im Bodensee erst 2018 in größerer Zahl auf – zu dem Zeitpunkt also, als wir unser Projekt starteten. Das ist wissenschaftlich sehr interessant, weil wir diese Invasion verfolgen und beobachten konnten. Wie wir in Nordamerika gesehen haben, kann die Quagga Muschel ein Ökosystem ganz aus dem Gleichgewicht bringen. Das macht der Stichling auch und jetzt geht es darum herauszufinden, was diese zwei Faktoren zusammen – gemeinsam mit dem Rückgang der Nährstoffe und dem Klimawandel – für den See bedeuten…

«Es wird auch weiterhin Fische im See geben, doch das Ökosystem verändert sich.»

…und für die Fischer.

Für die Fischer verheißt das vermutlich nichts Gutes. Wir finden die Quagga Muschel bereits bis in eine Tiefe von 250 Metern. Dort sind es zurzeit erst einzelne Exemplare, doch in 40 Meter Tiefe findet man die Muschel schon fast flächendeckend. Die Quagga filtert Algen aus dem Wasser. Für den See bedeutet dies, dass er noch sauberer und noch nährstoffärmer wird. Auch die Stichlinge fressen den Felchen das Futter weg.

Wie geht es dem See als Ganzes?

Er ist gesund, das ist keine Frage. Das Wasser ist klar und enthält genügend Sauerstoff. Es wird auch weiterhin Fische im See geben, doch das Ökosystem verändert sich. Ich befürchte, dass aufgrund des immer knapper werdenden Nährstoffangebots die Fische, im Vergleich zu heute, weiter zurückgehen werden. Noch können wir das nicht genau quantifizieren und wir wissen auch nicht, wie schnell das geschehen wird.

Was bedeutet diese Invasion für die Wasserversorgung? Der Bodensee hat für die Region als Trinkwasserspeicher ja eine große Bedeutung.

Für die Wasserversorgung ist die Quagga von riesiger Bedeutung. Das Trinkwasserwerk in Sipplingen etwa beschäftigt drei Mitarbeiter, um seine Anlagen frei von Muscheln zu halten. Aber auch die kleinen Wasserwerke kennen diese Probleme. Neue Anlagen müssen so gebaut werden, dass sie sich gut reinigen lassen – das macht sie teurer. Die Muschel spielt aber auch überall sonst eine Rolle, wo Wasser in den See rein- oder rausgepumpt wird. Also auch für alle Anlagen, die Seewasser nutzen, um zu kühlen oder zu heizen.

«Der See ist gesund, das ist keine Frage.»

«SeeWandel» wollte herausfinden, ob der Bodensee genügend resilient ist, um mit all diesen Veränderungen fertigzuwerden. Haben Sie schon Antworten?

Es kommt darauf an, ob man diese Frage für den See als Ganzes oder für bestimmte Ökosystemleistungen beantworten will. Wenn es um gutes Trinkwasser geht, ist der See resilient und kann mit diesen invasiven Arten umgehen. Sehr wahrscheinlich wird er auch mit den Folgen des Klimawandels fertig. Doch wenn es um die Ökosystemleistung Fischertrag geht, sieht es momentan nicht danach aus, als dass der See resilient sei.

Dank dem koordinierten Bau von Kläranlagen vor 50 Jahren befindet sich der See heute wieder in einem naturnahen Zustand. Wird es künftig wieder eine derartige Anstrengung brauchen?

Im Moment kennen wir keine technischen Lösungen, mit denen wir die invasiven Arten beseitigen könnten. Theoretisch – und ich betone, das ist noch reine Theorie – gibt es die Möglichkeit der Verbreitung der Quagga Muschel über genetische Manipulation entgegenzuwirken. Es gibt zum Beispiel in den USA Gruppen, die an solchen Sachen forschen. Ob daraus je etwas wird, wissen wir nicht. Und wenn sich derartige Möglichkeiten ergeben sollten, dann bestimmt nicht in den nächsten 10, 20 Jahren. Auch muss man sich fragen, ob solch eine Lösung von der Gesellschaft akzeptiert würde. Die Möglichkeit einer großen gemeinsamen Anstrengung wie im Fall der Kläranlagen sehe ich am Bodensee zurzeit nicht.

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