Eine Brasilianerin in Konstanz

Der „Seespiegel“ stellt Menschen vor, die am großangelegten Forschungsprogramm „SeeWandel“ beteiligt sind. Die IGKB hat das Projekt mitentwickelt und gefördert. Diese Folge der kleinen Serie zeigt die Arbeit der Paläolimnologin Simone Wengrat.

Eine Brasilianerin in Konstanz

Der „Seespiegel“ stellt Menschen vor, die am großangelegten Forschungsprogramm „SeeWandel“ beteiligt sind. Die IGKB hat das Projekt mitentwickelt und gefördert. Diese Folge der kleinen Serie zeigt die Arbeit der Paläolimnologin Simone Wengrat.

Zuerst das tropische Brasilien, dann das arktische Grönland und nun die gemäßigte Bodenseeregion – die wissenschaftliche Karriere von Simone Wengrat ist reich an Kontrasten. Ihr Forschungsgegenstand allerdings blieb immer derselbe: Die studierte Biologin interessiert sich für die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die Ökologie von Seen, und sie nutzt dabei Informationen, die sich aus Sedimenten gewinnen lassen.

Von der Universität Aarhus in Dänemark – ihrer letzten Station – nach Konstanz gezogen ist die junge Brasilianerin des Projekts „SeeWandel“ wegen. „Es hat mich ungeheuer interessiert“, erzählt sie, „mit einem See zu arbeiten, der die Eutrophierung hinter sich hat.“ Unter der Eutrophierung versteht man ein schädliches Wachstum von Wasserpflanzen, das auf ein Überangebot von Nährstoffen wie Phosphor zurückzuführen ist. Das Teilprojekt von „SeeWandel“ an der Universität Konstanz, an dem Simone Wengrat nun seit 2018 mitarbeitet, nennt sich „Resilienz des Bodensees aus paläolimnologischer Sicht“. Das Ziel: Herausfinden, wie gut sich der See vom ökologischen Schock erholt hat, den er durchlebte, als die Abwässer ungeklärt eingeleitet wurden. Um zu wissen, wie gut dieser Erholungsprozess – in der Fachsprache Reoligotrophierung genannt – gelungen ist, braucht es Informationen über den ursprünglichen Zustand des Sees. Und dazu ist das Fachwissen von Paläolimnologinnen wie Simone Wengrat gefragt.

„Der See ist heute wieder in einem ähnlichen Zustand wie 1920.“

Aus Sedimentkernen rekonstruiert sie Informationen zum Zustand des Sees während den vergangen 100 Jahren. Die braucht es für ein Gesamtbild, denn detaillierte Daten, die anhand von Wasserproben erhoben werden, existieren erst seit 1960 – einer Zeit also, als sich der See mitten in seiner Eutrophierungsphase befand. Nun bestimmt und vermisst Simone Wengrat also tagelang unter dem Mikroskop Überreste von Kieselalgen und Wasserflöhen in verschiedenen Sedimentschichten. Sie geben unter anderem Aufschluss über die Nährstoffbelastung des Sees und über Nahrungsnetzbeziehungen wie etwa über die Bedeutung von Fischen als Fraßfeinde der Wasserflöhe.

„Die fossilen Kieselalgen vom Bodensee sind sehr divers“, sagt die Forscherin. Diese enorme Vielfalt identifiziert sie mit Hilfe von einschlägiger Bestimmungsliteratur wie etwa der „Süsswasserflora von Mitteleuropa“, dessen Bände neben ihrem Mikroskop stehen.

Die Paläolimnologin zeigt uns erste Resultate ihrer minutiösen Arbeit und öffnete auf ihrem Computerbildschirm eine Grafik mit gepunkteten Linien, auf der neben den gemessenen Werten auch die rekonstruierten Daten eingetragen sind. Die Interpretation der Kurven ist höchst erfreulich: Der See hat sich tatsächlich erholt. Mikroorganismen, die sich über mehrere Jahrzehnte nicht mehr nachweisen liessen, sind inzwischen zurückgekehrt. „Was die Wasserqualität und die Kieselalgen betrifft, befindet sich der See heute wieder in einem ähnlichen Zustand wie 1920“, erklärt Simone Wengrat.

„Ich wollte mit einem See arbeiten, der die Eutrophierung hinter sich hat.“

Ganz so eindeutig liegen die Dinge allerdings nicht. Die Paläolimnologin hat nämlich nicht nur den Obersee untersucht, sondern auch den Zellersee im unteren Teil des Bodensees, und der ist vergleichsweise flach. Dabei ist die Forscherin auf unerwartete Resultate gestossen: Zwar hat auch hier eine Reoligotrophierung stattgefunden, doch die Mikroorganismen sind nicht vollständig zurückgekehrt. Der Unter- und der Obersee unterscheiden sich im Grad der Erholung von der Nährstoffbelastung zumindest was die Kieselalgen betrifft. „Weshalb wir im Zellersee heute andere Arten finden als in der Vergangenheit, wissen wir noch nicht», erklärt Simone Wengrat, „möglicherweise ist das eine Folge des Klimawandels, der sich im flacheren Zellersee vielleicht stärker bemerkbar macht.“

Noch bleiben also wichtige Fragen zu klären doch für die Paläolimnologin steht schon heute fest: „Der Bodensee ist ein Vorbild für die Welt. Nicht nur weil es gelungen ist, die Folge der Nährstoffbelastung rückgängig zu machen, sondern auch weil die Anrainerstaaten diese beispielhafte Anstrengung gemeinsam geleistet haben.“

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